«Die Ansprüche steigen ebenso wie der Druck»
23.01.2025 BottmingenDie Spitex Bottmingen Oberwil feiert dieses Jahr ihr 125-Jahre-Jubiläum. Präsident Martin Boltshauser beantwortet Fragen von Gregor Szyndler.
Die Spitex Bottmingen Oberwil wird im April 2025 125 Jahre alt. Gratuliere! Haben Sie einen speziellen Geburtstagswunsch?
Martin Boltshauser: (Denkt lange nach.) Eigentlich habe ich ja den Wunsch, dass uns weniger Leute brauchen ...
«Eigentlich»?
Ja genau, eigentlich, denn natürlich ist das unrealistisch. Also wünsche ich mir, dass wir auch künftig den Leuten helfen können, so lange wie möglich daheim zu bleiben und noch nicht ins Heim zu müssen. Und ich wünsche mir, dass die Leute mit der Qualität unserer Dienstleistungen zufrieden sind.
Wie feiert die Spitex Bottmingen Oberwil das Jubiläum?
Wir haben ein Jubiläumsprogramm, das an der GV im April beginnt und das ganze Vereinsjahr lang dauert, also bis zur GV 2026. Wir machen ein Fest im Oktober, bieten Vorträge sowie Aktivitäten an. An der GV informieren wir darüber.
Welche Herausforderungen stehen 2025 an?
Das Gesundheitswesen entwickelt sich rasant, die Ansprüche steigen ebenso wie der Druck, der auf allen Anbietern lastet. Immer komplexere Krankheitsbilder werden ambulant versorgt, was Spezialisten erfordert – Stichwort Onkologie, Palliativpflege oder Kinderspitex.
Wo kommen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter persönlich an ihre Grenzen?
Es gibt viele schwierige Situationen. So rechnen wir etwa im 5-Minuten-Takt mit den Krankenkassen ab, der Pflegealltag ist also sehr durchgetaktet. Da müssen sich unsere Leute abgrenzen können, ohne dabei den Menschen das Gefühl zu geben, «abgearbeitet» zu werden. Ich habe sehr grossen Respekt vor den diesbezüglichen Leistungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie machen einen Superjob in einem Umfeld, in dem von ihnen immer mehr verlangt wird und die Ansprüche wirklich sehr hoch sind.
Was macht den Spitex-Job nebst der Pflege so anspruchsvoll?
Wir kommen zu den Betreuten in ihre private Lebensumgebung, was per se schwierig ist. Da gibt es schwierige Situationen, wenn etwa die Pflegenden Angst vor dem Hund haben und die Gepflegten sagen: «Der will doch nur spielen …» Oder die Betreuten bitten um einen Kaffee oder darum, die Zeitung zu holen … Unsere Leute müssen sich abgrenzen können.
Sie planen auf 2026 die Einführung von einer 24/7-Pflege. Was sind hier die Herausforderungen?
Schon allein die Planung! Wir kennen das Einzugsgebiet, Allschwil, Binningen, hinteres Leimental. Also wissen wir, es hat so und so viele Leute, sagen wir 70‘000. Da müssen wir abschätzen, wie viele Leute wir brauchen, das muss alles aufgebaut werden. Wir brauchen Leute, die zu Nachtschichten und Pikettdiensten bereit sind, was angesichts der Vereinbarkeit von Familie und Beruf schwer ist.
Was hat es mit der Ausbildungsoffensive im Kanton Baselland auf sich?
Die Ausbildungsoffensive im Kanton Baselland nimmt die Pflegeanbieter in die Pflicht und soll die Erlernung der Pflegeberufe fördern und pflegerischen Nachwuchs bringen. Dies ist umso wichtiger als es immer mehr ältere Leute gibt, also quantitativ mehr Bedarf. Die Überalterung im Leimental ist kantonsweit überdurchschnittlich, wir brauchen also dringend mehr Fachpersonen.
Wie haben sich die an die Spitex gestellten Erwartungen in den Jahren Ihrer Präsidentschaft verändert?
Ich bin seit 8 Jahren Präsident und seit etwa 16 Jahren bei der Spitex. Der Spardruck hat sehr zugenommen, die Pflege soll allumfassend sein, aber darf nichts kosten. Wir hören immer wieder: «Warum seid ihr so teuer?» – Da gibt es nur eine Antwort, weil die Menge so gestiegen ist! Manchmal gibt es zu wenig Wertschätzung für die Arbeit der Spitex. Vielen ist es nicht bewusst, was für eine Knochenarbeit dahintersteht.
Wie erleben Sie die Spitex in Ihrem eigenen Umfeld?
Mein Vater war dement. Ich musste ihn richtig überreden, die Spitex kommen zu lassen. Auch meine Schwiegermutter hatte Bedenken, fremde Leute in ihre Wohnung zu holen – als ob unsere Pflegenden das Zehnernötli auf dem Tisch abstauben oder das Gebiss mitgehen lassen. Am Ende hat es dann aber gut geklappt.
Bleiben Sie selbst lieber mit Spitex zu Hause oder gehen Sie ins Heim?
Meine Frau und ich haben Vorsorgeaufträge und Patientenverfügungen. Ich will daheim sein, solange es für meine Frau zumutbar ist. Ich würde nicht zu Hause bleiben wollen, wenn ich meiner Frau zur Last fallen oder sie in ihrem Leben einschränken würde. Für den Fall, dass ich das nicht mehr kommunizieren kann, habe ich den Vorsorgeauftrag. Man kann ja gar nicht oft genug sagen, wie wichtig es ist, das alles aufzuschreiben. Und seinen Angehörigen davon zu erzählen.
Gregor Szyndler