Ein Stück Schaffhauser Geschichte in Bottmingen
24.07.2025 BottmingenIn Schaffhausen wurden in den vergangenen Wochen mehrere Menschenskelette aus dem 16. und 17. Jahrhundert ausgegraben. Sobald sie fertig dokumentiert sind, kommen sie nach Bottmingen.
Die Funde kamen nicht überraschend: Dort, wo zurzeit das neue Fernwärmenetz Schaffhausen entsteht, befand sich früher ein Friedhof aus dem Jahr 1564 – das weiss man aus schriftlichen Quellen und früheren Grabungen. In den vergangenen Wochen kamen dort im Zuge der Bauarbeiten mehrere Skelette zum Vorschein. «Die Untersuchung vor Ort durch eine Anthropologin hat ergeben, dass es sich um Erwachsene und Kinder handelt», weiss Kantonsarchäologin Kathrin Schäppi. Als Todesursache sei die Pest zu vermuten.
Die Menschenskelette kommen, sobald sie vonseiten der Archäologie fertig dokumentiert, geborgen und gewaschen sind, nach Bottmingen. Sechs Kantone – Schaffhausen, Basel-Landschaft, St. Gallen, Aargau, Fribourg und Graubünden – haben sich zur Interkantonalen Arbeitsgemeinschaft für Anthropologie (IAG) zusammengeschlossen und lagern hier an der Wuhrmattstrasse in Zusammenarbeit mit der Universität Basel ihre menschlichen Skelettfunde. Die Sammlung wird seit 18 Jahren von Viera Trancik kuratiert; die Ursprünge gehen bis in die 1950er-Jahre zurück.
Bessere Bedingungen als in Aesch
Im Jahr 2017 zog die Sammlung von Aesch nach Bottmingen. Der ehemalige Lagerraum befand sich unter einer Turnhalle ohne Lift und war nicht mit Gestellen ausgerüstet. Die Schachteln waren also direkt aufeinandergestapelt; das wiederum erschwerte den Zugang zu den einzelnen Schachteln. Diese Probleme gibt es in Bottmingen nicht mehr. Die optimalen Lagerbedingungen – durchgehend 18 bis 20 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 45 Prozent – herrschen aber auch hier nicht. «Um dies zu gewährleisten, braucht es entsprechende Technik, gute Raumisolierung, eine Klimaanlage sowie eine Überwachung des Raumklimas. Das ist teuer», erklärt Trancik. Doch auch sonst ist das Betreiben eines solchen Kompetenzzentrums eine kostspielige Angelegenheit. Umso sinnvoller ist es, wenn sich mehrere Kantone daran beteiligen. «Das bündelt Ressourcen», so die Kuratorin.
Viera Trancik hat Archäologie, Biologie und Anthropologie studiert. Sie ist nicht nur für die Verwaltung und Betreuung der Sammlung verantwortlich, sondern kümmert sich auch um die Funde selbst, wenn sie in Bottmingen neu ankommen: Sie legt sie zur Bestimmung aus, fotografiert Auffälligkeiten und hält die Infos schriftlich fest. Seit Kurzem ist Trancik zudem daran, die früheren Unterlagen zu digitalisieren. Doch sich tagtäglich mit menschlichen Skeletten zu befassen und von ihnen umgeben zu sein, ist gewiss nicht jedermanns Sache. «Ich bin sehr an der Geschichte interessiert. Und die Arbeit mit Skeletten ist der direkteste Kontakt, den man mit den Menschen von früher haben kann», erklärt Trancik ihre persönliche Faszination.
Mehr als die Hälfte der Funde stammen aus dem Kanton Freiburg. Aus dem Baselbiet gibt es deutlich weniger, aus Bottmingen noch gar keine Funde. Dafür aber aus Oberwil: Vorsichtig zieht Trancik eine der unzähligen Schachteln heraus, öffnet sie und nimmt aus einem Plastikbeutel einen Schädel in die Hand. In weiteren Beuteln sind unter anderem die Wirbelsäule und die Beckenknochen dieses Menschen verpackt. «Das war ein erwachsener Mann aus Oberwil, der im 7. Jahrhundert n. Chr. gelebt hat», weiss Trancik. Ausserdem wurde im Baselbiet, genauer gesagt in Nenzlingen, die älteste Schweizerin gefunden; sie stammt aus der Zeit um rund 6300 v. Chr. Die neuen Funde aus Schaffhausen kommen voraussichtlich nächstes Jahr nach Bottmingen. Wie viele es sein werden, ist noch unklar – die Arbeiten dauern an. Laut der Schaffhauser Kantonsarchäologin ist noch mit zahlreichen weiteren Gräbern zu rechnen.
«Die letzte Ehre erweisen»
Sich mit menschlichen Skeletten zu befassen, ist in der Archäologie etwas Besonderes: «Andere Gegenstände werden meist ohne grossen Aufwand aus der Erde entnommen und in Plastiktüten verpackt. Bei Skeletten hingegen wird das ganze Grab zunächst freigelegt, sodass die Grabgrube, allfällige Reste von Särgen und natürlich das Skelett selbst gut sichtbar sind», erklärt Kathrin Schäppi. Auch das persönliche Empfinden ist offenbar anders: «Mir ist beim Freilegen eines Skelettes bewusst, dass ich einen Menschen mit einer individuellen Lebensgeschichte vor mir habe, der von seinen Angehörigen hier bestattet und auch betrauert worden ist. Mit einer sorgfältigen Ausgrabung und Dokumentation erweise ich dieser Person die letzte Ehre.»
Ähnlich sieht es Viera Trancik: «Das waren einmal Menschen, die einst Freude am Leben hatten und nun zu unserer Vergangenheit gehören.» Doch nicht nur die Umgangsweise, auch der Lagerungsort ist besonders. So wurde der Sammlungsraum in Bottmingen bei der Eröffnung von Pfarrern eingesegnet. «Damit ist er einem Friedhof gleichgestellt», erklärt die Kuratorin. Schätzungsweise 40’000 Menschen ruhen hier.
Nathalie Reichel