Einmal vom Schicksal einer ledigen Frau erzählen

  21.11.2024 Regio, Dies und das

Autorin Helen Liebendörfer präsentierte ihren neuen historischen Roman «Nicht ohne Regenschirm».

«Ich nehme an, Sie haben alle den Regenschirm dabei», scherzte Helen Liebendörfer am Dienstagabend gut gelaunt vor vollem Haus in der Buchhandlung Bider&Tanner. Sie spielte damit einerseits augenzwinkernd auf ihr Buch an, andererseits meinte sie tatsächliche Regenschirme. «Bei dem Titel des Buches habe ich angenommen, Sie kommen mit Regenschirm, Petrus hat es ja extra heute Morgen ein bisschen regnen lassen.» Mit ihrer pfiffigen und einnehmenden Art hatte Liebendörfer das Publikum sofort in der Tasche.

Nach zwei herzlichen Ansprachen von Carmen Lee-Stocker, Mitglied der Geschäftsleitung von Bider&Tanner, und Alfred Rüdisühli, Verwaltungsratspräsident der Friedrich Reinhardt AG, war die Autorin selbst an der Reihe. Sie erwiderte Rüdisühlis Freude und charmantes Lob, indem sie sagte: «Wir bleiben uns treu gegenseitig, das ist ganz selbstverständlich.» Es sei nämlich nicht selbstverständlich, dass man bei einem Verlag ist, bei dem es einem wohl ist. «In den ganzen 30 Jahren, in denen ich beim Reinhardt Verlag bin, gab es nie irgendeinen Misston.» Liebendörfer dankte auch Claudia Leuppi, stellvertretende Verlagsleiterin, für die gute Zusammenarbeit.

Einen Schirm als modisches Accessoire dabei zu haben, sei im 19. Jahrhundert durchaus üblich gewesen, erklärte Liebendörfer dem Publikum. Dann lüftete sie das Geheimnis des Buchtitels: «Charlotte Kestner, die Hauptfigur des Buches, hat immer den Schirm als Stütze dabeigehabt, weil sie sehr oft Rückenweh hatte.» Als Kestner in Basel lebte und im Haus zum Kirschgarten wohnte, sei sie als «Täntli mit dem Regenschirm» bekannt gewesen. «Ich habe mir überlegt, einmal eine ledige Frau ins Zentrum zu stellen», fuhr Liebendörfer fort. Die 81-jährige Autorin meinte, sie habe bisher nur Frauen porträtiert, die im Schatten ihrer Männer an zweiter Stelle standen. «Es ist auch mal wichtig, dass man sich dran erinnert, wie schwierig es früher für ledige Frauen war.» Ein eigenständiges, freies Leben sei für sie nicht möglich gewesen. So auch nicht für Charlotte Kestner.

1788 geboren und 1877 gestorben, ist Kestner 89 Jahre alt geworden, ein respektables Alter in dieser Zeit (ihre gleichnamige Mutter war das Vorbild der Lotte in Johann Wolfgang von Goethes «Die Leiden des jungen Werther»). Mit 20 Jahren musste sie ihrem Bruder die (Haus-)Frau und seinen Kindern die Mutter ersetzen. Aufgewachsen in Hannover, zog sie zu ihm ins elsässische Thann. Liebendörfer: «Früher war es üblich, dass in einem solchen Fall eine ledige Frau einspringen musste.» 40 Jahre lang war Charlotte Kestner für ihren Bruder da, besorgte den Haushalt und zog die Kinder gross. Nach des Bruders Tod zog sie zu dessen Tochter Caroline nach Basel ins Haus zum Kirschgarten und bis zu ihrem Tod blieb sie in Basel (später in einer eigenen kleinen Wohnung).

Dieses vorausgeschickt, las Liebendörfer im Anschluss verschiedene Passagen aus ihrem 240 Seiten starken Buch vor, wodurch die ganze damalige Zeit mit einem Mal lebendig und erlebbar wurde. Es ist eine bewegte Geschichte, die einen mitnimmt. Besonders durch solche Bücher erklärt sich, warum heute gewisse Dinge so sind, wie sie sind, und warum Menschen sich so und so verhalten. Helen Liebendörfer hat die Lücken zwischen den historischen Daten und Fakten einmal mehr treffend und mit viel Leben gefüllt. Das Publikum dankte der Autorin mit herzlichem Applaus. Anschliessend wurde sie eine Stunde lang am Autogrammtisch belagert, das spricht für sich.

Axel Mannigel


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