«Es wird schwieriger werden, grosse Projekte zu vermitteln»
09.01.2025 OberwilGemeindepräsident Hanspeter Ryser blickte beim Neujahrsapéro recht pessimistisch auf die Welt und Oberwil. Umso mehr wünscht er sich deshalb «mehr Gelassenheit», die für ihn beim Schnee auf dem Trottoir anfängt.
Gemeindepräsident Hanspeter Ryser bringt beim traditionellen Neujahrsapéro in der Wehrlinhalle gerne die Weltpolitik nach Oberwil. Auch dieses Jahr bot er den rund 300 Gästen «ein paar persönliche Gedanken zum vergangenen Jahr und als Ausblick auf das kommende Jahr, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und politische Korrektheit». Die Entwicklungen in den Nachbarländern Deutschland und Frankreich und vor allem in den USA liessen ihn davon ausgehen, dass «in der breiten Masse ein Unbehagen vorhanden ist». Was immer man von Trump halte: Er habe es geschafft, diese Massen abzuholen und das Unbehagen zu kanalisieren.
In der weltweiten Politik habe es einen Rechtsrutsch gegeben; in der Verantwortung sieht Ryser Politiker, die «zu wenig darauf geachtet haben, welche Auswirkungen ihr Tun in der Bevölkerung hat und welche Signale eine ungeordnete beziehungsweise uneingeschränkte Willkommenskultur sendet». In Deutschland und Frankreich sei dies schon in Extremen sichtbar: «Die grosse Masse der Alteingesessenen hat Mühe mit dieser Entwicklung.»
Stimmbürger wollen mehr für sich
Aber auch in der Schweiz habe der Normalverdiener zunehmend Sorgen, «ob er die laufenden Rechnungen noch bezahlen kann». In den Sozialen Medien werde er zugleich bombardiert mit der Welt der Superreichen, die ihr Leben rücksichtslos gegenüber Mitmenschen und Umwelt lebten, sowie mit wirtschaftlichem Wachstum in anderen Teilen der Welt, die die hiesigen Einschränkungen für Nachhaltigkeit und Umweltschutz schwer vermittelbar machten. Da sei es nachvollziehbar, dass der Stimmbürger seinen Unmut an der Urne kundtue «und sich sagt: Jetzt will ich auch etwas für mich!», etwa die 13. AHV-Rente oder keine Pensionskassenreform.
In den vergangenen 30 Jahren habe die Gemeinde Oberwil dank guter Finanzen viele Bedürfnisse einzelner Gruppen erfüllen können. Dies sei nun vorbei: «In Zeiten von knappen Ressourcen kann es passieren, dass das Wollen einer Minderheit nicht mehr durch die Mehrheit ermöglicht werden will», erklärte Ryser in einem Satz, den man zweimal lesen muss.
«Zweifel sind einfacher als Vertrauen»
Der Gemeindepräsident prophezeit, dass zukünftige grosse Infrastrukturprojekte nur noch von mehreren Gemeinden gemeinsam gestemmt werden können. Es werde zunehmend schwieriger werden, den Stimmbürgern Generationenprojekte zu vermitteln, «wenn sie ihnen unmittelbar keinen Nutzen bringen oder über einen gewissen Zeitraum das eigene Umfeld etwas einschränken». Es sei «immer einfacher, Zweifel zu schüren, als Vertrauen zu bilden». Er habe aber den Eindruck, «dass sich viele unserer Einwohnerinnen und Einwohner all der geschilderten Herausforderungen bewusstsind».
Wie schon seit einigen Jahren wünscht sich Ryser deshalb «mehr Gelassenheit» und zitierte als Beispiel aus einer WhatsApp, die er am 3. Januar erhalten habe. Darin habe ein Gewerbetreibender moniert, dass die Trottoirs in Oberwil im Gegensatz zu den umliegenden Gemeinden nicht geräumt worden seien. Das sei eine «Schande für unser Dorf». Obwohl selbst Unternehmer, habe sich der Schreiber keine Gedanken gemacht, warum die Räumarbeiten nicht ausgeführt worden seien und ob eventuell eine Maschine kaputtgegangen sei.
Vor noch nicht allzu langer Zeit, kam Ryser zum Punkt seiner Argumentation, sei es noch Pflicht der Anstösser gewesen, das Trottoir zu räumen. Seit die Gemeinde diesen Service übernommen habe, sei der Anspruch an seine Ausführung gestiegen, «obwohl man es wunderbar findet, in Zermatt durch die verschneiten Strassen zu laufen». Ryser riet den Oberwilern: «Statt sich über Eis und Schnee aufzuregen, geniessen Sie die Freude an der weissen Pracht. Zumal der Winter in Oberwil nur sehr kurz vorbeischaut.»
Informationsveranstaltung für Neuzuzüger
Bei der Informationsveranstaltung für Neuzuzüger, die traditionell vor dem Neujahrsapéro stattfindet, berichtete Ryser kurz von der Geschichte und der aktuellen Situation Oberwils. Die Gemeinde hat derzeit 11’519 Einwohner in 5562 Haushalten; ein ständig steigender Anteil von 23,7 Prozent ist 65 Jahre und älter. Gemeindeverwalter André Schmassmann stellte die Dienstleistungen der Gemeinde vor und verwies auch auf zwei besondere Anlässe in diesem Jahr: Die Ausscheidungsrunde für den «Donnschtigjass» gegen Binningen Anfang August mit der Aufzeichnung der Sendung in Oberwil im Falle eines Siegs sowie auf das letztjährig zum ersten Mal durchgeführte mehrtägige Musikfestival «Piazza Oberwil» zur selben Zeit.
Wie immer nutzten zahlreiche Vereine, Einrichtungen und Parteien die Möglichkeit, sich auf einer kleinen Messe den neuen und alten Oberwilern vorzustellen. Besondere Möglichkeit, sich zu präsentieren, hatten zu Beginn der Veranstaltung der Musikverein Oberwil und als Intermezzo der Chor Touching Voices. Christian Ammann berichtete für den Musikverein von der gemeinsamen Ausbildung der Jugend in der Musikschule Leimental; Dorothee Ehmke warb ihrerseits für die Touching Voices speziell um neue Männer als Verstärkung für die fünf männlichen Sänger im gemischten Chor.
Boris Burkhardt