Leseförderung auf vier Pfoten

  26.06.2025 Therwil

Sylvia Adili besucht regelmässig die Gemeindebibliothek Therwil mit ihrem Lesehund Boy. Geduldig und gemütlich hört Boy beim Lesen zu und baut so Lese-Hemmungen ab. Der BiBo hat Boy vorgelesen und Sylvia Adili Fragen gestellt.

Mit dem Lesen und Vorlesen ist es für Primarschulkinder so eine Sache: Oft fehlt den Kindern die Geduld, oder sie sind frustriert, weil sie Wörter kaum lesen oder verstehen können. Schlimmstenfalls lachen andere Schulkinder sie sogar aus, wenn sie vorlesen. So entstehen immer grössere Lesehemmungen. Hier kommt der Lesehund namens Boy ins Spiel. «Boy lacht und wertet nicht, wenn die Kinder vorlesen, sondern hört einfach nur zu und beobachtet die Kinder dabei», erklärt Hundehalterin Sylvia Adili. So fassen auch Kinder Mut zum Vorlesen, die sonst nicht gerne lesen oder die vom Vorlesen verunsichert werden. Die Kinder lesen Boy eine Viertelstunde lang vor, vergessen dabei die Welt um sich herum, sie dürfen den Hund streicheln und verlieren so die Angst vor dem Vorlesen. «Es entsteht eine spezielle Verbindung zwischen den Kindern und Boy», so Adili. «Die Eltern dürfen nicht dabei sein. Es entsteht eine Symbiose zwischen Kind und Hund.» Sylvia Adili ist seit drei Jahren regelmässig mit Boy in Bibliotheken unterwegs.

Ehemaliger Strassenhund aus Marokko
Boy ist ein Weibchen, kein Männchen, wie man denken könnte. «Sie ist ein ehemaliger Strassenhund aus Marokko, wo ich jedes Jahr Zeit verbringe», erzählt Sylvia Adili. In Marokko gibt es viele Strassenhunde, ganze Rudel. 2020 fand Sylvia Adili Boy eines Tages eingerollt vor ihrem Haus. Da war sie vielleicht etwa sieben Jahre alt, wobei die Tierärzte das Alter nicht genau schätzen können. Sicher hingegen ist, dass Boy ein altdeutscher Schäferhund ist: «Kleiner als ein deutscher Schäfer und mit längeren, seidigeren Haaren.» 2021 nahm Sylvia Adili Boy mit in die Schweiz. Und entdeckte ein grosses Talent: «Boy ist eine richtige Couchpotato. Sie kann problemlos drei Stunden herumliegen, beim Lesen zuhören oder sich verwöhnen lassen», berichtet sie.

Ruhe, Geduld und warmherziger Blick
Auf die Anforderungen angesprochen, die ein Lesehund erfüllen muss, erwähnt Adili als Erstes Ruhe und Geduld. «Ausserdem hat Boy einen warmherzigen Blick, man sieht bei ihr durch die Seele. Sogar Kinder, die Angst vor Hunden haben, kommen bei Boy aus ihrem Schneckenhaus.» Natürlich ist es auch wichtig, dass der Hund stressresistent ist: «Wir waren schon ein paar Mal auf dem Bücherschiff. Das ist rappelvoll und es ist ein Kommen und Gehen – doch Boy bleibt auch in solchen Situationen immer ganz lieb und schatzig», so Adili. Nicht jeder Hund hat das Zeug zum Lesehund, es kommt auf Rasse, Gemüt und Charakter an: «Ein Boxer wird kein Lesehund, weil er den Kindern Angst machen könnte. Und ein Chihuahua wird sicher auch keiner, weil sie zu nervös sind.» Das Ziel ihrer tierischen Bibliotheksbesuche sei es, den Kindern eine gute, positive Leseerfahrung zu ermöglichen. «Boy hat so gern Kinder, sie wird so gern gestreichelt – von Krimis über Rössli-Geschichten bis hin zu Einhorn-Märchen hört sie sich einfach alles Vorgelesene so richtig gerne an.» Im Selbstversuch des BiBo zeigt sich: Boy ist ein Schatz, liegt gemütlich neben dem Vorlesenden auf dem Sofa und lässt sich streicheln. Jedoch entsteht durch Boys Passivität, als der BiBo mehrmals hintereinander ihren Namen ins Vorgelesene einbaut, auch ein wenig der Eindruck, dass sie an diesem heissen Sommertag eher zum Rumfläzen und Faulenzen als zum aufmerksamen Zuhören da ist ... nicht einmal die Ohren spitzt sie, als ihr Name vorkommt. Trotzdem entsteht sofort eine Verbindung zu ihr und es fällt sowieso schwer, vorzulesen, statt sie einfach nur zu streicheln.

Lesen, streicheln, lesen …
Während dem Vorlesen ist Sylvia Adili immer in der Nähe. «Es ist wichtig, dass Boy weiss, dass ich da bin.» Zugleich achtet Adili auf zwei Meter Abstand, damit die vorlesenden Kinder nicht von ihrer Anwesenheit gehemmt werden. Boy schläft und döst manchmal, während die Kinder lesen, und wenn sie wach ist, schaut sie sie mit ihrem liebenswürdigen Hundeblick an. «Manchmal legt sie den Kopf aufs Bein der Kinder, die Kinder entscheiden selbst, ob sie das wollen. Ja, und dann lesen sie ihr vor, streicheln sie, lesen weiter und so weiter und so fort.» – Gefragt, ob sie das Vorlesen mit Boy auch manchmal übe, lacht Sylvia Adili: «Nein, ich lese ihr nicht vor. Aber als begeisterte Bibliothekgängerin lese ich fast fünf Bücher pro Woche – natürlich auch, wenn Boy dabei ist.»

Gregor Szyndler


Nächste Termine in der Bibliothek Therwil: 17.9., 15.10., 5.11., 19.11. und 17.12.


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