«Oh Gott, ist das gut genug?»
07.12.2023 OberwilTexte von Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Oberwil wurden in einem Büchlein verlegt. Selbst für die Lehrpersonen ist das etwas Besonderes.
«Die Wahrheit ist tot, es gibt lediglich Konsens; alle müssen das Gleiche wissen.» Dies schreibt Domenic Schwander (21) in seinem Text «König der Lügen». Ein bedrückendes Stück über Wahrheit und Nicht-Wahrheit, über einen jungen Mann und sein Verhältnis zu seinen Eltern. Der Text ist tief persönlich und lässt einem nachdenklich zurück.
«Über meinem Kopf schwebt eine Hornisse. Sie heisst Frank. Frank ist lieb, er will nur spielen, ich spiele gerne mit Frank.» Im Text «Omnipräsent» schildert Julia Ohm (19) ihre Beziehung zu diesem im Normalfall Angst einflössenden Insekt. «Ich finde, Frank kann sehr schön summen. Wir summen immer zusammen, er macht den Cantus firmus und ich die umspielenden Stimmen.» Man hat sofort ein Bild vor Augen, von Julia, die mit Frank Freundschaft schliesst, während andere Menschen vor Frank fliehen.
Im Text «Essiggurken» analysiert Annina Cantoni das Verbindende und Trennende zwischen ihr und dieser Mischung aus Obst und Gemüse eingelegt in stark riechender Flüssigkeit. «Gurken müssen nicht perfekt sein, und vielleicht müssen wir das auch nicht. Vielleicht sind es wir selbst, die uns davon abhalten, zu Gurken zu werden, herumzugurken.» Man lacht, überlegt und schüttelt auch mal den Kopf, wenn man die zwei Seiten von Annina Cantoni liest.
Im Buch «November» haben auch Noah Rosenbaum (19) einen Text über Schnee in der klimaerhitzten Zukunft und Mia Rudolph (19) einen paradox wortreichen Text zum Thema Schreibblockade verfasst. Der Buchtitel entspricht dem Titel des ersten Textes von Domenic Schwander, in dem er Positives und Negatives über den letzten Herbstmonat niederschreibt.
Per Zufall zum Verlag
Am Ursprung des sieben Texte umfassenden Büchleins stand die Schreibwerkstatt, die am Gymnasium Oberwil jedes Jahr von den Deutschlehrern Hannes Veraguth und Markus Gisin organisiert wird. Geleitet wird die Woche jeweils von einer professionellen Autorin oder einem professionellen Autor. Die Schreibwerkstatt vom Herbst 2022, in der die ersten Texte für «November» entstanden sind, leiteten die Autorin Annina Haab und der Autor Josia Haab. Die Schreibwerkstatt wird seit 2006 im Rahmen der Begabten- und Engagiertenförderung am Gymnasium Oberwil angeboten. Erster leitender Autor damals war übrigens ein gewisser Lukas Bärfuss, der aktuell wohl bedeutendste Schweizer Schriftsteller.
Dass Texte aus der Schreibwerkstatt verlegt werden, ist einem Zufall geschuldet. Bernhard Engler, Chef des Lokwort Verlags aus Bern, war an der Lesung der Texte an der BuchBasel zu Gast und war vom Gehörten angetan. So entstand der Kontakt. Aus der Schreibwerkstatt am Gymnasium wurde ein professionelles Arbeiten für einen Verlag.
In der hintersten Ecke in der Buchhandlung?
Insgesamt 16 Schülerinnen und Schüler haben an der letztjährigen Schreibwerkstatt teilgenommen. Fünf von ihnen durften und wollten ihre Texte veröffentlichen. «Alleine die Anfrage war für mich eine grosse Ehre», erinnert sich Domenic Schwander, der wie Noah Rosenbaum und Mia Rudolph im Sommer 2023 die Matura bestanden hat. Julia Ohm und Annina Cantoni sind noch immer am Gymnasium. Von einem «tollen Gefühl» spricht Julia Ohm. Wie viele Büchlein verkauft werden, sei ihr persönlich nicht so wichtig. «Es wäre cool, wenn es irgendwo in einer Buchhandlung stehen würde, auch wenn es in der hintersten Ecke wäre», lacht Annina Cantoni. Nach der Anfrage durch Bernhard Engler kam aber auch eine gewisse Nervosität auf. «Ich fragte mich natürlich: Oh Gott, ist das gut genug?»
Auch für die verantwortlichen Lehrpersonen ist die Verlegung der Texte etwas Besonderes, gibt Hannes Veraguth zu. «Natürlich schwingt auch ein gewisser Stolz mit. Aber wir freuen uns primär für die Schülerinnen und Schüler.» Es sei positiv, dass neben den klassischen Hobbys wie Musik oder Sport auch solche «Sprachkunstwerke» von jungen Menschen eine Aufmerksamkeit erhalten, so Veraguth.
Vernissage mit Schauspieleinlagen
Am 18. Oktober stellten die fünf noch aktuellen und ehemaligen Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Oberwil «November» an einer Vernissage im Literaturhaus Basel vor. Dabei lasen sie nicht nur ihre Texte, sie füllten deren Inhalt auch mit kleinen schauspielerischen Einlagen. Die Möglichkeit, im renommierten Literaturhaus Basel lesen zu dürfen, war für die fünf eine zusätzliche Ehre. Hört man ihnen beim Erzählen zu und weiss um deren Leidenschaft für das Schreiben, ist die Chance gross, dass man von ihnen in den kommenden Jahren noch einiges zu lesen bekommt.
Tobias Gfeller