Trauern, ohne stark sein zu müssen

  06.11.2025 Oberwil

Denise Fankhauser und Michael Hofmann von der Reformierten Kirche Oberwil-Therwil-Ettingen organisieren das Trauercafé Oberwil. Sie beantworten Fragen von Gregor Szyndler.

Was ist das Trauercafé?
Fankhauser: Ein niederschwelliges Treffen für trauernde Menschen. Trauer ist bei uns immer noch stark tabuisiert, viele Menschen denken nie an Tod und Sterblichkeit – bis sie mit dem Verlust eines geliebten Menschen konfrontiert werden. Wir wollen einen Raum für die Trauer schaffen, in dem die Leute sich willkommen fühlen.

Was erwartet die Besucherinnen beim Trauercafé?
Fankhauser: Wir beginnen mit einem Input von uns. Beim letzten Trauercafé haben wir Fotos von Wegen verteilt – Gebirgswege, Feldwege, Waldwege. Dann haben sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Weg gewählt, der als Symbol zu ihrem Trauerweg passt. Dazu stellten wir Fragen, damit die Leute über ihre Trauer und Trauerarbeit nachdenken konnten. Und Michael hat Klavier gespielt.
Hofmann: Stimmt! Ich habe «Der Weg» von Herbert Grönemeyer gespielt.
Fankhauser: Und gesungen hast du auch!
Hofmann: (lacht.) Auch das stimmt! Das ist ein so schönes Lied! Grönemeyer hat es seiner verstorbenen ersten Frau gewidmet. Er verlor innert Wochenfrist seinen Bruder und seine Frau. Nachher brauchte er sehr lange, um wieder auf die Beine zu kommen – «Der Weg» berichtet von seinem Trauerprozess.

Ist die Musik fester Bestandteil des Cafés?
Hofmann: Nein, das ist verschieden. Denise und ich machen jedes Mal einen Plan, bleiben aber auch flexibel, um auf die Situation reagieren zu können.

Spielen im Trauercafé Rituale oder Spiritualität eine Rolle?
Fankhauser: Wir haben immer einen gemeinsamen Anfang und ein gemeinsames Ende mit Kaffee und Kuchen, als Seelennahrung. Das ist unser Ritual.
Hofmann: Der Abschluss mit Kaffee und Kuchen ist wichtig, so können wir schauen, wie es den Menschen geht, nachdem sie so lange von ihrer Trauer gesprochen oder anderen dabei zugehört haben. Dann gibt es auch immer noch die Möglichkeit von persönlichen Gesprächen.

Was tun Sie, damit die Leute sich im Café wohlfühlen?
Hofmann: Wir haben Regeln: Dass alles Gesagte vertraulich bleibt, dass man reden kann, aber nicht reden muss. Ganz wichtig ist auch: Wir lassen einander ausreden.
Fankhauser: … und wir werten nicht und vergleichen nicht verschiedene Verlustund Trauersituationen.

Wiemerken Trauernde, dassesihnen guttun würde, ins Trauercafé zu gehen?

Fankhauser: Wenn das private Umfeld mit der eigenen Trauerbewältigung nach einer gewissen Zeit überfordert ist.
Hofmann: Bei Männern kann die Bewältigungsstrategie nach einem Verlust problematisch werden – etwa das Konsumverhalten ... Aber es ist nicht einfach, das zu merken, man ist angewiesen auf Inputs von aussen.

Was berichten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von den Treffen?
Fankhauser: Wir haben unsere Gruppe gestern gebeten, diese Frage auf Zetteln gleich selbst zu beantworten. Ein Teilnehmer hat geschrieben: «Ich war überrascht, dass man so offen über den Tod sprechen konnte.» Eine Teilnehmerin schrieb, wie schön es sei, im Trauercafé trauern zu können, «ohne stark sein zu müssen».
Hofmann: Ein gerade auch für Männer sehr wichtiger Punkt. Sie haben oft das Gefühl, besonders stark sein und funktionieren zu müssen – oft schon sehr früh nach einem Verlust. Dem wollen wir entgegenwirken.

Gibt es Leute, die mehrmals kommen?
Fankhauser: Oh, ja, Moment – dazu hat eine Teilnehmerin von gestern geschrieben. (Sucht den Zettel.) «Ich komme immer gerne ins Trauercafé, weil ich hier auch nach drei Jahren seit dem Tod meines Mannes zu meiner Trauer stehen kann.»
Hofmann: Trauerarbeit endet ja nicht einfach irgendwann, sondern verläuft in Wellen – etwa an Jahres-, Geburts- oder Hochzeitstagen oder wenn Weihnachten vor der Tür steht.
Fankhauser: Ein wichtiger Aspekt der Treffen ist es, den Leuten bewusst zu machen, dass solche Wellen normal sind. Teilnehmende, die solche Wellen schon besser kennen, können anderen Tipps geben, wie man damit umgehen kann.
Hofmann: Manchmal stehen die Teilnehmenden nach Ende des Trauercafés noch lange ins Gespräch vertieft bei uns vor der Türe. Es entstehen private Kontakte unter den Teilnehmenden. Das freut uns, denn darum geht es uns, wir wollen ja Gemeinschaft unter den Menschen stiften.

Interview: Gregor Szyndler


Trauercafé
Jeden letzten Mittwoch des Monats (ausser Dezember) im Saal der Reformierten Kirche Oberwil.

Im Netz: www.ref-kirche-ote.ch


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