Vater und Sohn Siegenthaler lesen Vater und Sohn Hesse
20.11.2025 TherwilHanspeter und Martin Siegenthaler lesen am 4. Dezember aus den Briefen von Hermann Hesse und seinem Sohn Martin Hesse. Im Gespräch berichten sie von der Erschliessung der Briefe und sagen, was die Zuschauer an der Lesung erwartet.
Wie muss ich mir den von Ihnen erfassten Brief-Nachlass von Hermann Hesses jüngstem Sohn Martin Hesse (1911–1968; d. Red.) vorstellen: Ist es ein Ordner, eine Kiste – oder ist es ein ganzer Raum voll von Kisten?
Hanspeter Siegenthaler: Es sind 22 Schachteln, darin enthalten sind 1500 Briefe und Karten. Die Korrespondenzen wurden bereits von Isabelle von Wurstemberger (1906–1990) geordnet, der Frau von Martin Hesse.
In «Mein lieber Brüdi» sind nebst dem Herausgeber Gunnar Decker Sibylle Siegenthaler-Hesse (1945–2020; d. Red) sowie Hanspeter, Martin und Matthias Siegenthaler verzeichnet. Was war die jeweilige Aufgabe und Rolle aller Beteiligten?
Hanspeter Siegenthaler: Meine Frau als Erbin von Martin Hesse musste ihr Einverständnis geben. Ausserdem war sie die erste Korrekturleserin der abgetippten Briefe. Ich selbst habe mich aufs Erfassen der handschriftlichen Briefe von Hermann Hesse spezialisiert und die Briefe von Vater und Sohn chronologisch zu einem Briefwechsel zusammengeführt Das war nicht ganz einfach, da Hermann Hesse seine Briefe nur selten datierte. Um die Kurrentschrift entziffern zu lernen, besuchte ich Kurse.
Martin Siegenthaler: Ich habe v. a. die Briefe von meinem Grossvater Martin Hesse abgetippt. Im Gegensatz zu Hermann Hesse verwendete er dazu zum Glück eine viel besser lesbare Handschrift. Mein Bruder Matthias schliesslich war der Spezialist für die Schreibmaschinenbriefe von Hermann Hesse.
Hanspeter Siegenthaler: Herausgeber Gunnar Decker hat die Auswahl für den Druck gemacht. Dabei war es uns wichtig, möglichst den ganzen zeitlichen und biografischen Bogen der Korrespondenz abzubilden.
Der spannt sich von Martin Hesses früher Kindheit bis zu dem Tag, an dem Hermann Hesse starb.
Wie lief die Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp-Verlag?
Hanspeter Siegenthaler: Wir sind mit der Idee zu ihnen gegangen. Da aber bereits Briefausgaben von Hermann Hesses anderen Söhnen Bruno (1905– 1999; d. Red.) und Heiner (1909–2003) am Laufen waren, stiessen wir mit unserem Vorschlag zunächst auf Zurückhaltung.
Martin Siegenthaler: Wir wurden auch von anderen Herausgebern immer wieder angefragt, einzelne Briefe für die anderen laufenden Ausgaben zur Verfügung zu stellen. Das wollten wir nicht, sondern es war uns wichtig, diesen Briefwechsel so ausführlich und in sich geschlossen wie möglich herauszubringen.
Sie setzen in der bevorstehenden Lesungim Jahr 1932 ein, als Martin Hesse am Bauhaus in Dessau Architekturstudierte. Wie schwer oder leicht fiel ihm der Entscheid fürs Studium?
Hanspeter Siegenthaler: Martin Hesse wollte nicht studieren, er war mehr der handwerkliche Typ ...
Martin Siegenthaler (erhebt den Zeigefinger): Einspruch! Hier braucht es einen Einschub! Martin Hesse hat Bauzeichner gelernt – die Ausbildung schloss er ab, wobei er merkte, dass die viele Zeit im Büro nichts für ihn war. Nachdem sein Lehrmeister ihn direkt auf den Baustellen arbeiten liess, wurde es besser. Nach der Lehre und einigen Bauprojekten wie dem Umbau einer Wohnung für seine Mutter beschloss er, studieren zu gehen.
Wie gefiel es Martin Hesse am Bauhaus?
Martin Siegenthaler: Es waren gemischte Gefühle. Einerseits schrieb er über Wassily Kandinsky (russischer Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker; d. Red.): «Kandinsky spricht oft sehr interessant, oft aber auch so kompliziert. Die meisten schreiben alles auf und lernen es dann zu Hause. Mir ist das absolut unsympathisch.»
Hanspeter Siegenthaler: … auf der anderen Seite entdeckte er dort die Fotografie für sich. Es war neben der Theorie auch viel praktische Arbeit dabei am Bauhaus damals, das kam Martin Hesse entgegen.
Was erwartet das Publikum an der Lesung?
Martin Siegenthaler: Mein Vater und ich werden auf der Bühne stehen und in verteilten Rollen die Briefe vorlesen. Moderationen gibt es nur wenige, wir lassen die Briefe so weit wie möglich für sich selbst sprechen.
Hanspeter Siegenthaler: Letztes Mal hatten wir volles Haus, das Interesse an den Briefen ist gross. Nach unserem Teil wird Pfarrerin Christina Policante-Roth einen Bezug zur Gegenwart herstellen – aufgrund eines offenen Briefes, den Hermann Hesse am Ausbruch des Ersten Weltkriegs schrieb, um gewissen kriegsbegeisterten Intellektuellen ins Gewissen zu reden.
Gregor Szyndler
4. Dezember, 14.30 Uhr, Reformierte Kirche Therwil. Eintritt frei (Kollekte).


